Immer wieder behaupten Menschen Gott in seiner Herrlichkeit gesehen zu haben. Dabei klingen ihre Erlebnisberichte oftmals mehr nach einer Begegnung mit einem Nachbarn als nach einer Begegnung mit dem heiligen Gott. Auch der Prophet Jesaja durfte Gott in seiner Herrlichkeit schauen. Bei dieser Vision wurde er von Gott berufen und auf seinen Dienst ausgerichtet. Jesaja durchlief also keine formale theologische Ausbildung, sondern wurde durch eine Vision von der Herrlichkeit Gottes für seinen Dienst motiviert. Das heißt, dass eine kurze Zeit in der Gegenwart Gottes ausreichte, um ihn anzuspornen sein bisheriges Leben komplett aufzugeben und ein Zeugnis für Gottes Erhabenheit unter seinen Volksgenossen zu sein. Im Folgenden wollen wir uns seine Berufungsvision anschauen und versuchen zu verstehen, was sie uns über Jesu Herrlichkeit und unsere Sündhaftigkeit offenbart.
Als der König Usija im Jahr 8. Jhdt. v. Chr. an Aussatz starb, war das für die gottesfürchtigen Juden ein großer Schock. Er hatte 52 Jahre lang in Juda regiert und garantierte dem Volk einen gewissen Wohlstand und Frieden, der nur von König David und Salomo übertroffen wurde. Auch wenn Usija eigentlich ein gottesfürchtiger König war, so wurde er dennoch am Ende seiner Regierungszeit hochmütig und deshalb auch von Gott gestraft. 2. Chronik 26 berichtet uns wie er in den Tempel ging, um auf dem Altar zu räuchern (2. Chr. 26,16-23). Dieser Dienst stand allerdings nur den geweihten Priestern zu, weshalb ihn Gott auch mit Aussatz schlug: Usijas Missachtung der Heiligkeit Gottes führte also unweigerlich zu seinem Gericht und damit auch zu seinem Tod. Während der König von Juda also starb und sich die gottesfürchtigen Juden sorgenvoll fragten, wie es mit ihrem Volk weitergehen würde, sieht Jesaja den wahren König in einer Vision auf dem Thron sitzen. Wir lesen in Jesaja 6:
Im Todesjahr des Königs Usija, da sah ich den Herrn sitzen auf hohem und erhabenem Thron, und die Säume ⟨seines Gewandes⟩ füllten den Tempel.
Jesaja 6,1
Jesaja wird in seiner Berufungsvision in den Thronsaal Gottes geführt, um Gottes Herrlichkeit mit eigenen Augen zu sehen. Auch wenn der Apostel Johannes richtigerweise herausstellt, dass „niemand Gott jemals gesehen hat“ (Joh. 1,18), so offenbart sich doch Gott hier in seinem Sohn. Jesaja verwendet hier nämlich im Hebräischen das Wort Adonai für Herr, dass im Griechischen mit dem Wort Kyrios übersetzt wird und unseren Herrn Jesus beschreibt. Dass Jesaja hier Jesu Herrlichkeit sieht, bestätigt uns Johannes auch in seinem Evangelium. Als Johannes den Grund für den Unglauben seiner Volksgenossen benennt, zitiert er in Johannes 12 aus Jesaja 6,10 und sagt:
Darum konnten sie nicht glauben, weil Jesaja wieder gesagt hat: »Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, dass sie nicht mit den Augen sehen und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich sie heile.« Dies sprach Jesaja, weil er seine Herrlichkeit sah und von ihm redete.
Johannes 12,39-41
Johannes zeigt in diesen Versen klar auf, dass es Christi Herrlichkeit war, die Jesaja hier gesehen hatte: Er sah eine Christophanie; eine Erscheinung des vorinkarnierten Herrn Jesus. Dazu wurde er in das himmlische Heiligtum geführt und ihm der Thron Gottes vor Augen gestellt. Jesaja durfte also wie Johannes im Geist unsern Herrn Jesus, der „hoch und erhaben“ ist, auf seinem Thron sehen und beobachten wie seine Herrlichkeit unablässig von den Engeln angebetet wird.
Serafim standen über ihm. Jeder von ihnen hatte sechs Flügel: Mit zweien bedeckte er sein Gesicht, mit zweien bedeckte er seine Füße, und mit zweien flog er. Und einer rief dem andern zu und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR der Heerscharen! Die ganze Erde ist erfüllt mit seiner Herrlichkeit! Da erbebten die Türpfosten in den Schwellen von der Stimme des Rufenden, und das Haus wurde mit Rauch erfüllt.
Jesaja 6,2-4
Die Engel, die Gottes Heiligkeit hier verkündigen gehören der Ordnung der Serafim an. Ihr Name heißt übersetzt „die Brennenden“ und rührt daher, dass sie für Gottes Heiligkeit brennen. Jesaja beschreibt uns, dass jeder Seraf sechs Flügel hat: Zwei um sein Gesicht zu schützen, zwei um seine Füße zu bedecken und zwei um zu fliegen. Da Gott jedes Lebewesen gemäß den Anforderungen seines Lebensraumes erschaffen hat (egal ob es sich um himmlische oder irdische Wesen handelt) und diese Engelswesen in der direkten Präsenz Gottes zu Hause sind, müssen wir davon ausgehen, dass auch ihre Flügel etwas mit Gottes Heiligkeit zu tun haben.
Während ein Flügelpaar den Serafim dazu dient den Thron Gottes zu umkreisen, um ihn von allen Seiten anbeten zu können, bedecken sie mit einem weiteren Flügelpaar ihr Angesicht vor seiner Herrlichkeit. Das ist notwendig, da kein Geschöpf den vollständigen Anblick seiner Majestät und Herrlichkeit ertragen kann. Diese Wahrheit bestätigt uns 2. Mose 33, wo Mose Gott bittet ihn in seiner Herrlichkeit sehen zu dürfen. Daraufhin antwortet Gott Mose mit den Worten: „Du kannst ⟨es⟩ nicht ⟨ertragen⟩, mein Angesicht zu sehen, denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben.“ (2. Mos. 33,20) Genauso wie es also nicht möglich ist, schutzlos in die Sonne zu schauen ohne zu erblinden, ist es auch nicht möglich, schutzlos in Gottes Herrlichkeit zu schauen ohne zu sterben.
Mit dem letzten Flügelpaar bedecken die Serafim ihre Füße. Das erinnert uns wiederum an Mose und an seine Begegnung mit Gott am brennenden Dornbusch. Dort sagt Gott zu Mose, dass er seine Sandalen ausziehen soll, da der Boden auf dem er steht heilig ist (2. Mose 3,5). Da Gott also den Boden durch seine Gegenwart heiligt, müssen auch die Serafim in seiner Präsenz ihre Füße bedecken, um nicht von seiner Heiligkeit verletzt zu werden.
Noch erstaunlicher als ihr Aussehen ist jedoch, was die Serafim ausrufen. Wir lesen in Vers 3, dass sie sich einander abwechselnd „heilig, heilig, heilig ist der HERR der Heerscharen“ zu rufen. Damit heben sie Gottes primäre Eigenschaft hervor: Seine absolute Heiligkeit (nur diese Eigenschaft Gottes wird in der Bibel drei Mal hintereinander wiederholt und damit in dieser besonderen Weise betont). Gottes Heiligkeit äußert sich auf zwei Arten: Zum einen ist er komplett abgesondert von Sünde und damit moralisch vollkommen rein. Zum anderen ist er auch vollständig abgesondert von seiner eigenen Schöpfung, sodass ihm nichts in seiner Schöpfung gerecht werden kann. Das heißt, wir können ihn mit nichts in dieser Welt vergleichen (wenngleich auch die Schöpfung seine Herrlichkeit zum Teil widerspiegelt), da nichts an seine Vollkommenheit heranreicht. Hier stellt sich die Frage, wie der sündige Mensch auf diese überragende Heiligkeit Gottes reagiert. Seine Heiligkeit offenbart uns nämlich nicht nur seine Erhabenheit, sondern auch unsere Verdorbenheit, weshalb auch der sündige Prophet Jesaja einen Fluch über sich selbst aussprechen muss.
Da sprach ich: Wehe mir, denn ich bin verloren. Denn ein Mann mit unreinen Lippen bin ich, und mitten in einem Volk mit unreinen Lippen wohne ich. Denn meine Augen haben den König, den HERRN der Heerscharen, gesehen.
Jesaja 6,5
Jesaja erkennt seine Sündhaftigkeit im Angesicht der Heiligkeit Gottes und bekennt, dass er sündige Dinge gesagt hat. Da der Mensch letztlich „aus der Fülle des Herzens redet“ (Lukas 6,45) deuten sündige Worte auf ein sündiges Herz hin. Jesaja hat allerdings nicht nur ein sündiges Herz, sondern auch einen vergänglichen Körper, der unmöglich in Gottes Herrlichkeit bestehen kann. Deshalb sind seine Worte „wehe mir, ich vergehe“ (nach der Schlachter 2000) nur verständlich und drücken seine Verlorenheit aus. Doch Gott in seiner Gnade nimmt sich Jesajas Sündenproblem an.
Da flog einer der Serafim zu mir; und in seiner Hand war eine glühende Kohle, die er mit einer Zange vom Altar genommen hatte. Und er berührte ⟨damit⟩ meinen Mund und sprach: Siehe, dies hat deine Lippen berührt; so ist deine Schuld gewichen und deine Sünde gesühnt.
Jesaja 6,6-7
Während Jesaja noch zerbrochen über seine Unwürdigkeit ist, sendet Gott ihm einen Seraf, der seinen Mund mit einer glühenden Kohle berührt. Da die Kohle vom Altar genommen wurde, dem Platz an dem Gottes Heiligkeit durch ein stellvertretendes Opfer genüge getan wurde, dient sie der Sühnung von Jesajas Sünde (siehe auch Vers 7). Gott löst also Jesajas Sündenproblem durch Sühne. Dabei beinhaltet Sühne einen zweiteiligen Akt: Zum einen muss der Zorn der beleidigten Person besänftigt werden. Das heißt Gottes Zorn auf die Sünde muss befriedigt werden. Zum anderen muss eine Versöhnung mit der geschädigten Person stattfinden. Es muss also eine Wiedergutmachung der Schuld passieren. Das Neue Testament zeigt uns, dass all das in Christus geschehen ist.
Ihn hat Gott hingestellt als einen Sühneort durch den Glauben an sein Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes; zum Erweis seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass er gerecht ist und den rechtfertigt, der des Glaubens an Jesus ist.
Römer 3,25-56
In diesen Versen bezeichnet Paulus Jesus als den Ort, an dem Gott die Sünden gesühnt hat. Er hat sein Leben für unser Leben dahingegeben und die Strafe für unsere Schuld am Kreuz auf sich genommen, sodass Gottes Zorn auf unsere Sünde gestillt und eine Wiedergutmachung durch sein Opfer erbracht wurde. Dabei erklärt Paulus hier auch, wie Gott schon vor der Erlösung am Kreuz, also zur Zeit Jesajas, Menschen die Sünden vergeben konnte. Da er das Erlösungswerk durch seinen Sohn schon vorbereitet hatte und wusste, dass er es vollbringen wird, konnte er den Heiligen des Alten Testaments sein vollkommenes Werk im Voraus anrechnen. Jesajas Errettung war also ein im Voraus gewährter Akt der Gnade, der auf Grundlage des noch kommenden Erlösungswerkes Jesu erfolgte.
So symbolisiert also das Entsühnen der Lippen Jesajas mit der glühenden Kohle, die Vergebung und die Reinigung von der Schuld seiner Sünde. Dadurch empfing Jesaja Frieden mit Gott, sodass er Gott in seiner Herrlichkeit sehen und am Leben bleiben konnte. Um also in Gottes Gegenwart bestehen zu können, bedarf es der Sühnung unserer Schuld. Diese Sühnung wurde am Kreuz für uns erwirkt: So wie die Kohle Jesajas Lippen berührt und ihn damit gereinigt hat, hat uns auch die Berührung des Kreuzes von unserer Schuld gesäubert und uns von der Strafe freigesprochen. Dadurch können wir jetzt in Gottes Gegenwart treten und seine Herrlichkeit in Christus schauen.