Heutzutage hört man immer wieder, dass sich Menschen als wiedergeboren bezeichnen. Vor allem in den USA, wo „Born again“ inzwischen ein gängiger Begriff geworden ist, wird diese Bezeichnung auch auf Menschen angewendet, die überhaupt nichts mit dem christlichen Glauben zu tun haben. Aber auch praktizierende Christen bezeichnen sich immer wieder als „Born again Christians“, wobei dieser Bezeichnung eine Dopplung innewohnt. Ein Mensch kann nicht Christ sein, ohne wiedergeboren zu sein. Aber wenn jemand wiedergeboren ist, folgt daraus automatisch, dass er Christus nachfolgen will. Da in den letzten Jahren viel Verwirrung, um den Begriff „Born Again“ entstanden ist, wollen wir uns im Folgenden mit der biblischen Lehre der Wiedergeburt auseinandersetzen und schauen, was die Schrift zur Wiedergeburt sagt und was bei ihr passiert.
Ein Ereignis, viele Sprachbilder
Das Neue Testament benutzt für dieses Ereignis im Leben eines jeden Gläubigen viele verschiedene Sprachbilder. Unser bekanntes Wort Wiedergeburt kommt vom griechischen Wort palin-genesia das zwei Mal im Neuen Testament vorkommt (Tit. 3,5; Mt. 19,28). Es ist eine Zusammensetzung aus den griechischen Worten „wieder“ und „Geburt“. Auch der Begriff ana-gennao kommt zwei Mal in der Schrift vor (1. Petr. 1,3.23) und kann mit „wiedergebären / wiederzeugen“ übersetzt werden. Viel häufiger wird dagegen der Ausdruck „aus Gott geboren“ verwendet (1. Joh. 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18). Auch Jesus sagt zu Nikodemus, dass er „von oben geboren werden“ muss (gennaomai anothen), um das Reich Gottes sehen zu können (Joh. 3,3.7). Jakobus konkretisiert, dass Gott uns „durch das Wort der Wahrheit gezeugt“ hat (Jak. 1,18).
Weitere Sprachbilder, welche die Schrift für die Wiedergeburt gebraucht sind, unter anderem geistliche Waschung (Tit. 3,5; 1. Kor. 6,11), geistliche Neuschöpfung (Gal. 6,15; Eph. 4,24; Kol. 3,10; 2. Kor. 5,17) und geistliche Auferstehung (Offb. 20,6; Joh. 6,63).
Eine Definition von Wiedergeburt
Die Wiedergeburt ist ein Handeln Gottes am Menschen, bei dem er ihm neues, geistliches Leben verleiht. Dabei ist die Wiedergeburt von der Bekehrung zu unterscheiden. Der Grund dafür ist, dass bei der Wiedergeburt allein Gott am Werk und der Mensch passiv ist (Joh. 3,8). Bei der Bekehrung dagegen ist auch der Mensch aktiv. Wenn sich nämlich ein Mensch zu Gott bekehrt, wendet er sich aktiv von seiner Sünde und seinem alten Leben ab und Christus im Glauben zu. Damit ein Mensch jedoch überhaupt Gottes Wort annehmen und dem Ruf des Evangeliums antworten kann, benötigt er die Wiedergeburt (Klg. 5,21; Ps. 80,19).
Die Wiedergeburt ist also die geistliche Zeugung eines Menschen durch den Heiligen Geist. Man kann auch sagen, dass sie die Einpflanzung geistlichen Lebens in die Seele eines Menschen ist, das ihn dazu befähigt dem Ruf des Evangeliums Folge zu leisten. Dementsprechend beweist ein Mensch, der Gottes Wort annimmt und Buße tut, dass er wiedergeboren ist. In diesem Sinn kommt die Wiedergeburt vor der Bekehrung, auch wenn Wiedergeburt und Bekehrung oft fast gleichzeitig stattfinden und wir beides so wahrnehmen, als würde es gleichzeitig geschehen.
Die Wiedergeburt erfolgt also nicht durch unseren Glauben, sondern sie ist die Grundlage durch die wir erst glauben können. Sobald nämlich der Heilige Geist in uns Wohnung genommen und unser Herz verändert hat, entscheiden wir uns natürlich für ein Leben mit Christus. Aus diesem Grund ist die Wiedergeburt auch ein zwingend, notwendiges Ereignis bevor ein Mensch glauben und in das Reich Gottes eintreten kann. Jesus sagt zu Nikodemus:
Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.
Johannes 3,3
Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes hineingehen.
Johannes 3,5
Folglich kann kein Mensch das Reich Gottes sehen, geschweige denn es betreten, wenn er nicht vorher wiedergeboren wurde.
Was bei der Wiedergeburt geschieht
Da die Wiedergeburt ein geheimes Werk Gottes am Menschen ist, bleibt für uns das genaue Wesen der Wiedergeburt unverständlich. Allerdings gibt es einige Punkte, die wir aus der Schrift über sie festhalten können.
Zunächst einmal wissen wir, dass wir bei der Wiedergeburt vom geistlichen Tot in das geistliche Leben übergehen (Eph. 2,5-6; Kol. 2,13). Während wir vor der Wiedergeburt kaum Interesse an geistlichen Themen hatten, haben wir nach der Wiedergeburt einen Eifer für die Dinge Gottes. Während wir vorher keine geistliche Wahrnehmung hatten, haben wir nach diesem einschneidenden Ereignis ein geistliches Verständnis. Während wir vorher Gottes Wort ablehnten, möchten wir danach bereitwillig seinen Anweisungen folgen. Die Wiedergeburt bringt also eine tiefe Veränderung in der Persönlichkeit eines Menschen mit sich. Man kann auch sagen, wir bekommen ein neues, auf Gott ausgerichtetes Herz. Von diesem neuen Herzen weissagten auch schon die Propheten des Alten Testaments:
Und ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres geben; und ich werde das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Und ich werde meinen Geist in euer Inneres geben; und ich werde machen, dass ihr in meinen Ordnungen lebt und meine Rechtsbestimmungen bewahrt und tut.
Hesekiel 36,26-27
Und ich gebe ihnen ein Herz, mich zu erkennen, dass ich der HERR bin. Und sie werden mein Volk sein, und ich werde ihr Gott sein; denn sie werden mit ihrem ganzen Herzen zu mir umkehren.
Jeremia 24,7
Das Herz ist in der biblischen Sprache die Schaltzentrale eines Menschen und damit nicht nur der Sitz seiner Gefühle, sondern auch seines Willens, seiner Gedanken und seiner Motive. Das bedeutet, dass der Heilige Geist bei der Wiedergeburt so auf den Menschen einwirkt, dass seine grundlegende Ausrichtung (man kann auch sagen seine Disposition) zu Gott hin verändert wird. Diese grundlegende Veränderung geschieht augenblicklich und ist unumkehrbar. Sie befähigt die betreffende Person auf das Evangelium zu reagieren und im Glauben auf Gottes Ruf zu antworten. In Apostelgeschichte 16 wird uns von Lydia erzählt, einer Frau, deren Herz Gott für die gute Nachricht öffnete und die auf diese Weise Anteil am ewigen Leben bekam.
Und eine Frau mit Namen Lydia, eine Purpurkrämerin aus der Stadt Thyatira, die Gott anbetete, hörte zu; deren Herz öffnete der Herr, dass sie achtgab auf das, was von Paulus geredet wurde. Als sie aber getauft worden war und ihr Haus, bat sie und sagte: Wenn ihr urteilt, dass ich an den Herrn gläubig sei, so kehrt in mein Haus ein und bleibt! Und sie nötigte uns.
Apostelgeschichte 16,14-15
Damit also Gottes Wort als der unvergängliche Same (1. Petr. 1,23) in den Kern des Menschen eindringen und Frucht tragen kann, muss vorher das Herz des Menschen verändert und seine Disposition in Ordnung gebracht werden. Dies tut der Heilige Geist, indem er den Boden für Gottes Wort im Innersten des Menschen vorbereitet und ihn geistlich erneuert (Tit. 3,5; 1. Kor. 6,11). Paulus erklärt dazu in 2. Korinther 5:
Daher, wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.
2. Korinther 5,17
Bei der Wiedergeburt geschieht also ein schöpferischer Akt Gottes, der uns lebendig macht, sodass sich dieses neue Leben allmählich auf den ganzen Menschen auswirkt. Man kann wie Paulus sagen, dass der wiedergeborene Mensch eine neue Schöpfung in Christus ist.
Beispiele einer Wiedergeburt
Ein bekanntes und eindrückliches Beispiel einer Wiedergeburt liefert uns das Leben des Apostel Paulus selbst. Vor seiner Wiedergeburt war er ein „Lästerer und Verfolger und Gewalttäter“ (1. Tim. 1,13). Er war fest entschlossen die Gemeinde Jesu auszulöschen und ließ sich deshalb nach Damaskus senden, um alle dort ansässigen Jünger festzunehmen und nach Jerusalem abzuführen (Apg. 9,1-2). Auf seinem Weg dorthin begegnete ihm allerdings der auferstandene Herr und schenkte ihm neues Leben. Wir lesen in Apostelgeschichte 9 zu diesem Ereignis:
Als er aber hinzog, geschah es, dass er sich Damaskus näherte. Und plötzlich umstrahlte ihn ein Licht aus dem Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die zu ihm sprach: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sprach: Wer bist du, Herr? Er aber ⟨sagte⟩: Ich bin Jesus, den du verfolgst.
Apostelgeschichte 9,3-5
Gott offenbarte sich Paulus auf spektakuläre Weise in seinem Sohn und erweichte damit sein verhärtetes Herz für den Glauben an ihn, sodass er ein Apostel des Evangeliums wurde, das er einst zu verfolgen versuchte. Wir lesen ein paar Verse später:
Und nachdem er Speise genommen hatte, kam er zu Kräften. Er war aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. Und sogleich predigte er in den Synagogen Jesus, dass dieser der Sohn Gottes ist. Alle aber, die es hörten, gerieten außer sich und sagten: Ist dieser nicht der, welcher in Jerusalem die zugrunde richtete, die diesen Namen anrufen, und dazu hierher gekommen war, dass er sie gebunden zu den Hohen Priestern führte? Saulus aber erstarkte noch mehr ⟨im Wort⟩ und brachte die Juden, die in Damaskus wohnten, in Verwirrung, indem er bewies, dass dieser der Christus ist.
Apostelgeschichte 9,19-22
Paulus blieb zwar, auch nach seiner Begegnung mit unserem Herrn, in Bezug auf seine menschlichen Veranlagungen und Fähigkeiten derselbe Mensch, aber die zugrundeliegende Disposition, seine Grundausrichtung änderte sich radikal. Während er zuvor seine Kraft und Logik nutzte, um gegen das Evangelium zu argumentieren, verteidigte er es nun. Während er vorher seine Redegewandtheit und Rhetorik gegen Jesus als den im Alten Testament verheißenen Messias richtete, wurde er nun zu seinem eifrigsten Zeugen.
Auch die Kirchengeschichte erzählt uns von einigen bemerkenswerten Wiedergeburten. So berichtet beispielsweise der Erweckungsprediger George Whitefield, wie Gott ihm während seiner Studienzeit durch ein Buch offenbarte, dass er wiedergeboren werden müsse, um ewiges Lebens zu erhalten. Daraufhin verschrieb sich der religiöse aber nicht gläubige Whitefield einer rigorosen Askese, bei der er nächtelang kniend oder auf dem Bauch ausgestreckt im Gebet verharrte. Nachdem er im Frühling 1735 schon sechs Wochen kaum etwas gegessen und getrunken hatte, verschlimmerte sich sein Zustand so sehr, dass man befürchten musste, er würde nicht überleben. Erst als er körperlich wie auch seelisch am Ende war und nicht länger auf sich und seine Kraft vertrauen konnte, schenkte ihm Gott in seiner Gnade was er durch keine Kasteiung und keinen Verzicht erlangen konnte: Das Geschenk der Wiedergeburt und des ewigen Lebens. Whitefield selbst kommentiert dazu:
Es gefiel Gott, mich von meiner schweren Last zu befreien und mich zu befähigen, in lebendigem Glauben Seinen geliebten Sohn zu ergreifen. Er schenkte mir den Geist der Kindschaft und versiegelte mich auf den Tag der ewigen Erlösung. O, welche Freude – Freude, die unaussprechlich und voller Herrlichkeit ist – füllte jetzt meine Seele, als die Sündenlast von mir fiel und das bleibende Bewusstsein der vergebenden Liebe Gottes mich erfasste, als volle Gewissheit des Glaubens in meine trostlose Seele einbrach! Das war der Tag meiner Vermählung – ein Tag, dessen ewiglich zu gedenken ist. Meine Wonne glich Frühlingsströmen, die alle Ufer überschwemmen.
George Whitefield – Der Erwecker Englands und Amerikas: Peters, B.
Auch wenn nicht jede Wiedergeburt so spektakulär verläuft wie die oben genannten Beispiele (sie ist immerhin ein geheimes Werk Gottes, das oftmals nicht bewusst wahrgenommen wird), so ist sie dennoch eine notwendige Bedingung um in das Reich Gottes eingehen zu können. Wir können uns nicht selbst zeugen, sondern wir müssen durch Gottes Geist gezeugt werden, der uns die Hinwendung zu Christus im Glauben durch seine Gnade schenkt. Es bedarf also unbedingt das Wirken des Geistes in unserem Leben, um die Erlösung persönlich auf uns anzuwenden. Der Geber des Geistes ist Christus selbst. Ihm gilt all unser Dank, denn er hat “nachdem er nun durch die Rechte Gottes erhöht worden ist und die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater empfangen hat, diesen ausgegossen” (Apg. 2,33), sodass auch wir Teilhaber des Reiches und seiner Gnade werden durften.