Christus im Psalm 110

Psalm 110 ist der am häufigsten zitierteste Psalm im Neuen Testament und wurde auch in der frühen Gemeinde häufig verwendet, um Jesus als den im Alten Testament versprochenen Messias auszuweisen. Dabei hatten die Apostel und die ersten Christen die Auslegung dieses Psalms auf Jesus hin von ihrem Herrn selbst erlernt. Als Jesus nämlich die Pharisäer und Schriftgelehrten im Tempel von ihrer Unkenntnis der Schrift überführte, fragte er die umstehende Menge:

Wie können die Schriftgelehrten sagen, dass der Christus Davids Sohn ist? David selbst sprach doch im Heiligen Geist: »Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde hinlege als Schemel für deine Füße!« David selbst nennt ihn also Herr; wie kann er dann sein Sohn sein?

Markus 12,35-37

Jesus zitierte hier den ersten Vers aus Psalm 110 und zeigte damit auf, dass der Messias nicht nur ein Mensch aus der Linie Davids (David’s Sohn), sondern auch Gott selbst (David’s Herr) sein muss. Damit bestätigt er den christologischen Charakter der Psalmen und entfaltet, wie David in diesem Psalm über ihn als den wahren König und Priester prophezeite.

Psalm 110 lässt sich am besten in zwei Strophen einteilen, wobei uns die erste Strophe (V. 1-3) Jesus als den allmächtigen König zur Rechten des Vaters vorstellt. Strophe 2 (V. 4-7) hingegen erhebt Jesus als den großen Hohepriester nach der Art und Weise Melchisedeks, der als Priester für sein Volk von Gott geweiht wurde.

Ein Psalm Davids. Der HERR sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde hinlege als Schemel für deine Füße! Der HERR wird das Zepter deiner Macht ausstrecken von Zion: Herrsche inmitten deiner Feinde! Dein Volk ist willig am Tag deines Kriegszuges; in heiligem Schmuck, aus dem Schoß der Morgenröte, tritt der Tau deiner Jungmannschaft hervor.

Der HERR hat geschworen, und es wird ihn nicht gereuen: Du bist Priester in Ewigkeit nach der Weise Melchisedeks! Der Herr zu deiner Rechten zerschmettert Könige am Tag seines Zorns. Er wird Gericht halten unter den Heiden, es wird viele Leichen geben; er zerschmettert das Haupt über ein großes Land. Er wird trinken aus dem Bach am Weg; darum wird er das Haupt erheben.

Psalm 110

Strophe 1 – Jesus unser König

Strophe 1 beginnt damit, dass David, befähigt durch den Heiligen Geist, ein Gespräch zwischen dem Herrn (hebräisch: Jahwe) und seinem Herrn (hebräisch: Adonai) mithört. Dabei wird David Zeuge, wie der Vater (Jahwe) seinem Sohn (Adonai) drei Versprechen gibt:

  1. Den Sieg über seine Feinde (V1)
  2. Die Ausdehnung seiner Herrschaft (V2)
  3. Ein Volk, das ihm bereitwillig gehorcht und folgt (V3)

Diese Versprechen erfüllt der Vater dem Sohn, während er zu seiner Rechten sitzt und regiert. Im Buch Daniel erfahren wir, dass der Sohn diesen Ehrenplatz zur Rechten des Vaters bereits nach seiner Himmelfahrt eingenommen und die Herrschaft schon angetreten hat:

Ich sah in den Nachtgesichten, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels, gleich einem Sohn des Menschen; und er gelangte bis zu dem Hochbetagten und wurde vor ihn gebracht. Und ihm wurde Herrschaft, Ehre und Königtum verliehen, und alle Völker, Stämme und Sprachen dienten ihm; seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergeht, und sein Königtum wird nie zugrunde gehen.

Daniel 7,13-14

Somit wurde Christus schon als König eingesetzt und wird weiter herrschen, bis alle seine Feinde endgültig unterworfen sind. Das Bild des Schemels ist dabei ein Symbol dafür, dass der Sohn seine Füße auf die besiegten Feinde legen und seinen vollständigen Sieg verkünden wird. In Philipper 2 heißt es:

Darum hat ihn Gott auch über alle Maßen erhöht und ihm einen Namen verliehen, der über allen Namen ist, damit in dem Namen Jesu sich alle Knie derer beugen, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Philipper 2,9-11

Das Buch der Offenbarung gibt uns einen guten Einblick darin, wie der Vater alle Feinde seines Sohnes richten wird: In Kapitel 16 lesen wir zuerst davon, dass die Menschen, die das Malzeichen des Tieres angenommen haben und die seine Gemeinde verfolgen Gericht erfahren werden (Offb. 16,1-2). Im Anschluss wird uns, in Kapitel 18, gezeigt, wie das Gericht über die verdorbene Weltlichkeit zum Untergang der großen Hure Babylon führen wird (Offb. 18,20-23). Offenbarung 19 berichtet uns ferner von der Vernichtung der antichristlichen, weltlichen Mächte und der falschen Religion in Form der beiden satanischen Tiere (Offb. 19,20-21). Schlussendlich lesen wir in Offenbarung 20, wie auch der Satan selbst und der Tod in den Feuersee geworfen werden (Offb. 20,10.14), sodass am Ende nur ein Bild des triumphierenden Lammes und seiner Gemeinde in vollkommener Glückseligkeit bleibt (Offb. 21 & 22).

Da der erste Vers aus Psalm 110, Jesus als den herrschenden Messias und wahren König identifiziert, spielt er im Neuen Testament eine sehr wichtige Rolle. Sowohl Petrus, in seiner Pfingstpredigt, als auch der Schreiber des Hebräerbriefs, zitieren ihn, um aufzuzeigen, dass der auferstandene Jesus jetzt zur Rechten des Vaters sitzt und in seiner Königsstellung weit erhabener als die Engel ist (Apg. 2,33-36; Hebr. 1,13-14). 

Vers 2 zeigt uns dann, wie die Macht des Messias von Zion her ausgedehnt wird und sich über seine Feinde erstreckt. Dabei steht das Zepter für die Herrschaft und die Macht des von Gott gesalbten Königs. Er regiert von Zion her, was ein Hinweis auf den Himmel selbst, also das himmlische Zion ist (Hebr. 12,22-24), von wo aus seine Herrschaft über alle Welt aufgerichtet wird.

Das Volk des Königs wird uns in Vers 3 vorgestellt. Es besteht aus Menschen, welche die Herrschaft des Messias anerkennen und ihm bereitwillig folgen wollen. Der Ausdruck „in heiligem Schmuck“ deutet darauf hin, dass sie ebenfalls zu „Königen und Priestern“ (Offb. 5,10) gemacht wurden und dadurch Anteil an seiner Herrschaft haben dürfen.

Strophe 2 – Jesus unser Hohepriester

Psalm 110 präsentiert uns Christus allerdings nicht nur als König, sondern, auch als den wahren Hohepriester, der für sein Volk bei Gott Fürsprache einlegt. In Vers 4 lesen wir, dass er ein Priester nach der Ordnung Melchisedeks ist. Somit vereint Jesus die beiden alttestamentlichen Ämter des Königs und des Priesters auf sich. Auch wenn eine solche Vereinigung der beiden Ämter in einer Person im alttestamentlichen Israel, nicht vorgesehen war, wird sie dennoch prophetisch für den Messias angekündigt:

Und du sollst zu ihm reden und sagen: So spricht der HERR der Heerscharen: Siehe, ein Mann, dessen Name »Spross« ist, denn er wird aus seinem Ort hervorsprossen und den Tempel des HERRN bauen. Ja, er ist’s, der den Tempel des HERRN bauen wird, und er wird Herrlichkeit [als Schmuck] tragen und auf seinem Thron sitzen und herrschen, und er wird Priester sein auf seinem Thron, und der Rat des Friedens wird zwischen beiden bestehen

Sacharja 6,12-13

Somit ist der, welcher auf dem Thron regiert auch der, welcher Fürsprache bei Gott für sein Volk einlegt. Er ist also ein König-Priester nach der Art und Weise wie es auch Melchisedek zur Zeit Abrahams war. In 1. Mose 14 wird dieser Melchisedek als „König von Salem“ und gleichzeitig als „Priester Gottes, des Allerhöchsten“ bezeichnet (1. Mose 14,18). Der Hebräerbriefschreiber erklärt uns zu ihm:

Denn dieser Melchisedek [war] König von Salem, ein Priester Gottes, des Allerhöchsten; er kam Abraham entgegen, als der von der Niederwerfung der Könige zurückkehrte, und segnete ihn. Ihm gab auch Abraham den Zehnten von allem. Er wird zuerst gedeutet als »König der Gerechtigkeit«, dann aber auch als »König von Salem«, das heißt König des Friedens. Er ist ohne Vater, ohne Mutter, ohne Geschlechtsregister und hat weder Anfang der Tage noch Ende des Lebens; und als einer, der dem Sohn Gottes verglichen ist, bleibt er Priester für immer.

Hebräer 7,1-3

Melchisedek ist also ein Typus auf den wahren Messias, dessen Priestertum, nicht wie das aaronitische Priestertum vergänglich ist, sondern auf ewig besteht. Jesus hat also, durch sein Erlösungswerk am Kreuz, eine neue und bessere priesterliche Ordnung eingeführt, indem er ein erhabeneres Priestertum für sein Volk einsetzte, das niemals enden wird (Hebr. 7,15-28).

Der Psalm endet mit einem Bild des kommenden Gerichts. Jeder, der diesen Messias nicht als seinen persönlichen Hohepriester annimmt, wird von Gottes Zorn getroffen werden. Verse 5-6 versetzen uns prophetisch wieder in das Buch der Offenbarung an den „Tag seines Zorns“:

Und der Himmel entwich wie eine Buchrolle, die zusammengerollt wird, und alle Berge und Inseln wurden von ihrem Ort weggerückt. Und die Könige der Erde und die Großen und die Reichen und die Heerführer und die Mächtigen und alle Knechte und alle Freien verbargen sich in den Klüften und in den Felsen der Berge, und sie sprachen zu den Bergen und zu den Felsen: Fallt auf uns und verbergt uns vor dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes! Denn der große Tag seines Zorns ist gekommen, und wer kann bestehen?

Offenbarung 6,14-17

So ist also Jesus, der von Gott eingesetzte König und Hohepriester, der nicht nur die Gnade gebracht hat, sondern, bei seinem zweiten Kommen, auch die Gerechtigkeit und das Gericht bringen wird. Dabei wird er, wie Gideon und seine dreihundert Mann am Jordan, nur innehalten, um sich zu stärken (Ri. 8,4) und „das Haupt [zu] erheben“. Das Bild, das in Vers 7 gezeichnet wird, beschreibt nämlich, wie er sich auf seinem Feldzug erfrischt, um sogleich die Verfolgung seiner Feinde fortzusetzen und alle Widersacher endgültig zu vernichten.

Da David, durch den Heiligen Geist, über Christus als den Messias prophezeite, ist es nicht verwunderlich, dass sich auch die Psalmen um Jesu Erlösungswerk drehen. Weitere Psalmen beleuchten beispielsweise auch seine Inkarnation (Psalm 40), seine Erniedrigung (Psalm 118) und sein Werk am Kreuz (Psalm 22). Er ist als das fleischgewordene Wort Gottes die Erfüllung der gesamten Schrift, inklusive der Psalmen, und der im Alten Testament verheißene König-Priester seines Volkes. Ihm sei die Ehre dafür!