Wenn wir die Bibel studieren wird uns unweigerlich auffallen, dass sich Gott darin nicht nur selbst offenbart, sondern, dass er uns in seinem Wort auch verschiedene Verheißungen gibt. Schon auf den ersten Seiten der Bibel verheißt er einen Nachkommen, der dem Satan den Kopf zermalmen und uns erlösen wird (1. Mose 3,15). Dieses Muster der Verheißungen Gottes durchzieht die ganze Schrift und kennzeichnet die Bündnisse mit Noah, Abraham, David etc. Auch das Neue Testament ist voll von Gottes Verheißungen an sein Volk, die er in seiner Treue bedingungslos erfüllt. Dabei enthält die Schrift mehr als direkte Prophetie. Da Gott auch Herr über den Lauf der Zeit ist, steuert er Ereignisse und Begebenheiten so, dass sie als Muster für zukünftige Ereignisse dienen (1. Kor. 10,6). So ist beispielsweise Gottes Gericht durch die Flut in den Tagen Noahs, ein Vorbild des universellen Gerichts am Ende des Zeitalters (Luk. 17,26-27, 2. Petr. 3,5-7). Aber Gott lenkt nicht nur einzelne geschichtliche Ereignisse. Er ordnet auch Lebensläufe von Personen so an, dass sie als Vorschattung für andere Personen dienen (Römer 4,23-24, 1. Kor. 10,11). Dementsprechend ist beispielsweise das Leben Davids eindeutig nach dem Muster Jesu gestaltet. David ist also ein Bild auf Christus. Um es in den Begriffen der Bibel auszudrücken: David ist ein Typus (= ein Vorbild oder Muster) auf Christus.
Definition eines Typus
Eine entscheidende Frage, die sich bei der Definition von Typologie stellt, ist, ob Typologie nur eine Analogie zwischen Altem und Neuen Testament oder auch eine Vorausschau auf zukünftige Ereignisse beschreibt. Während Theologen, die in der Typologie nur eine Analogie sehen, oftmals behaupten, dass es sich bei dieser Auslegungsmethode um ein Hineinlesen in den Text handelt (Eisegese), erkennen Theologen, die Typologie als eine Vorausschau verstehen, den von Gott beabsichtigten, prophetischen Charakter des Alten Testaments an (Exegese). Auch wenn es sicherlich einige Typoi (= Mehrzahl von Typus) gibt, die von den alttestamentlichen Autoren nicht bewusst als prophetische Vorbilder wahrgenommen wurden, so zeigt uns doch das Neue Testament, dass sie vom göttlichen Autor als Prophetien beabsichtigt wurden (vgl. Joh. 11,49-52). Aus diesem Grund hätten auch diese Autoren ihrer Verwendung als Typoi durch die Apostel im Neuen Testament zugestimmt.
Wir sehen also, dass Typologie einen analogen wie auch einen prophetischen Aspekt enthalten muss. Aus diesem Grund können wir biblische Typologie als Symbol definieren, das eine Person, ein Ereignis oder eine Einrichtung vorhersagt, welche in einer historischen Beziehung zu seinem Vorbild steht. Dabei wird die Person bzw. das Ereignis zum früheren Zeitpunkt als Typus und die Person bzw. das Ereignis worauf es hinweist zum späteren Zeitpunkt als Antitypus bezeichnet. Ein gutes Beispiel für einen Typus finden wir in Römer 5:
Aber der Tod herrschte von Adam bis auf Mose selbst über die, welche nicht gesündigt hatten in der Gleichheit der Übertretung Adams, der ein Bild des Zukünftigen ist. Mit der Übertretung ist es aber nicht so wie mit der Gnadengabe. Denn wenn durch die Übertretung des einen die vielen gestorben sind, so ist viel mehr die Gnade Gottes und die Gabe in der Gnade des einen Menschen Jesus Christus gegen die vielen überreich geworden. Und mit der Gabe ist es nicht so, wie ⟨es⟩ durch den einen ⟨kam⟩, der sündigte. Denn das Urteil ⟨führte⟩ von einem zur Verdammnis, die Gnadengabe aber von vielen Übertretungen zur Gerechtsprechung. Denn wenn durch die Übertretung des einen der Tod durch den einen geherrscht hat, so werden viel mehr die, welche den Überfluss der Gnade und der Gabe der Gerechtigkeit empfangen, im Leben herrschen durch den einen, Jesus Christus. Wie es nun durch eine Übertretung für alle Menschen zur Verdammnis ⟨kam⟩, so auch durch eine Rechtstat für alle Menschen zur Rechtfertigung des Lebens. Denn wie durch des einen Menschen Ungehorsam die vielen ⟨in die Stellung von⟩ Sündern versetzt worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen ⟨in die Stellung von⟩ Gerechten versetzt werden.
Römer 5,14-19
Hier bezeichnet Paulus Adam als ein Bild (griech. typos) auf Christus. Er erklärt das Adam als Repräsentant der Menschheit gegen Gott rebellierte und damit die gesamte Menschheit in die Sünde hineinzog. Christus dagegen, der auch als letzter Adam bezeichnet wird, hat durch seinen Gehorsam die Vielen gerecht gemacht und ihnen damit die Vergebung geschenkt.
Paulus sieht also im Verhältnis von Adam zu Christus mehr als nur bestimmte Parallelen. Stattdessen hebt er eine historische Entsprechung zwischen beiden Personen hervor und macht klar, dass Adams Fall im Garten Eden eine Vorschattung auf Gottes Sohn ist, der an Adams Stelle das Gesetz vollständig erfüllte.
Kriterien um einen Typus zu identifizieren
Da die Definition von Typologie umstritten ist, ist auch die Identifizierung von Typoi in der Bibel umstritten. Um nicht in willkürliche Allegorie abzudriften bedarf es klarer Auslegungsregeln, die uns helfen Typoi in der Schrift zu erkennen und wahrzunehmen.
Die offensichtlichsten Typoi sind wohl in den Stellen zu finden, wo das griechische Wort typos im Text vorkommt (z.B. Röm. 5,14 oder 1. Kor. 10,6). Darüber hinaus sind auch die Erfüllungsformeln (z.B. „damit erfüllt wurde“) ein guter Hinweis auf Typoi (z.B. Matt. 1,22-23; Joh. 13,18; Joh. 19,24). Auch an anderen Stellen liefert uns die Schrift textliche Hinweise, dass es sich bei Männern wie Mose (Apg. 3,22; Apg. 7,37), David (Joh. 7,41-42, Apg. 2,25-36) und Jona (Mt. 12,39-42; Lk. 11,29-32) um Bilder auf Christus handelt. Dabei zieht die Schrift nicht einfach nur Vergleiche zwischen Christus und diesen Männern. Vielmehr legt sie dar, dass Gott bestimmte Ereignisse in ihre Lebensläufe hineinlegte, um als Hinweis auf das Werk seines Sohnes zu dienen. Dementsprechend besteht also eine historische Beziehung zwischen Typus und Antitypus, die uns den Antitypus (in diesem Fall Christus) besser verstehen lässt.
Wo uns der neutestamentliche Text keine Hinweise liefert, müssen wir andere Kriterien anwenden, um Typoi zu identifizieren. In einigen Fällen gibt uns der alttestamentliche Kontext selbst Hinweise darauf, dass eine Person, ein Ereignis oder eine Einrichtung als vorschattend zu verstehen ist. So sind beispielweise die Ämter König, Priester und Prophet, welche im Alten Testament aufgrund der Unzulänglichkeit der Amtsinhaber immer wieder neu besetzt werden mussten, ein deutlicher Fingerzeig auf Jesus, der alle drei Ämter in vollkommener Weise in sich erfüllt. In anderen Fällen zeigt uns der Kontext, dass eine spätere, alttestamentliche Person, selbst ein Bild auf eine frühere, alttestamentliche Person ist, die im Neuen Testament klar als Typus identifiziert wird. Dann ist die spätere Person mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst auch ein Typus. Ein gutes Beispiel dafür liefert uns Josua: Da Josua der Nachfolger Moses ist (Jos. 1,3;7) und Jesus als zweiter Mose angesehen werden kann (5. Mos. 18,15), schattet auch Josuas Eroberung des verheißenen Landes Jesu Heilswerk voraus. Jesus vollbringt also geistlich das, was Josua bildhaft andeutet: Er bringt sein Volk in sein verheißenes, himmlisches Zuhause (Joh. 14,6).
Wenn wir also die Prinzipien zusammenfassen wollen, die uns helfen einen biblischen Typus zu identifizieren, ergeben sich daraus folgende Punkte:
- Es muss eine historische Analogie zwischen Typus und Antitypus bestehen. Z.B. Jona war drei Tage im Bauch des Fisches – Jesus war drei Tage begraben
- Der Typus muss einen vorausblickenden Aspekt beinhalten, der entweder im Neuen Testament offenbart oder im Alten Testament angedeutet wird. Z.B. deutet die Stellvertretung des Opferlammes im Alten Testament auf Jesu größeres und vollkommenes Opfer hin, das wirksam ist die Sünden zuzudecken
- Der Typus muss Gottes Handeln im Evangelium gezielt abbilden. Eine zufällige Ähnlichkeit ist nicht ausreichend – Z.B. spiegelt das alljährliche Sühneopfer des Hohepriesters im Allerheiligsten, Christi vollendetes Opfer und seinen vollkommenen hohepriesterlichen Dienst im Himmel wider
Warum ist Typologie wichtig?
An dieser Stelle drängt sich natürlich die Frage auf: Wenn Typologie ein so umstrittenes Feld ist, sollte man sich dann überhaupt die Mühe machen nach Typoi in der Schrift zu suchen? Diese Frage muss aus zwei Gründen bejaht werden.
1. Typologie verbindet die biblischen Geschichten zu einer Einheit
Dadurch, dass Typoi auf Jesus hinweisen, verknüpfen sie die einzelnen biblischen Geschichten zu einem großen Ganzen und nähren in uns die Hoffnung auf den kommenden Messias, der letztendlich alle Prophezeiungen in sich erfüllt. Aus diesem Grund beleuchten auch Männer wie Melchisedek, Mose, Josua, David und Salomo sein Werk aus unterschiedlichen Perspektiven und stellen uns verschiedene Aspekte der Erlösung vor. Dadurch fügen sie die biblischen Geschichten zu einem roten Faden zusammen, der uns unweigerlich zum Höhepunkt der Heilsgeschichte führt: Der Offenbarung Gottes in seinem Sohn.
2. Typologie lässt uns den Text im Licht des Evangeliums richtig anwenden
Ein weiterer Grund, weshalb es wichtig ist nach Typoi in der Schrift zu suchen liegt darin begründet, dass sie uns eine Anwendung mit Evangeliumsbezug liefern. Während man heutzutage alttestamentliche Texte zumeist moralisiert (d.h. man versucht primär moralische Prinzipien abzuleiten), versucht Typologie den Text in seinem ursprünglichen Kontext zu verstehen und diesen in Beziehung zum Evangelium zu setzen. Erst dann fährt die typologische Auslegung mit der Suche nach einer Anwendung fort. Als ein gutes Beispiel kann uns hier die Geschichte von David und Goliath aus 1. Samuel 17 dienen. Während der moralisierende Ansatz uns David als Vorbild präsentiert und uns dazu aufruft so mutig und stark zu sein wie er, sieht der typologische Ansatz in David ein Bild auf unseren Herrn Jesus, der unseren Feind besiegt hat. Dadurch lenkt er unseren Blick weg von uns und richtet ihn auf Jesus, der für uns am Kreuz triumphiert hat, sodass wir in seinem Sieg stehend auch unsere Schwierigkeiten meistern können (eine Auslegung von 1. Samuel 17 findet sich in diesem Beitrag). Typologie führt also zu Textanwendungen, die in Christi Werk gegründet sind und nicht in unseren eigenen Fähigkeiten.
Da die typologische Lesart ein christologisches Verständnis der Schrift fördert, ist es nicht verwunderlich, dass dieser Auslegungsansatz auch von den Aposteln bevorzugt wurde. Aus diesem Grund tun auch wir gut daran ihrem Vorbild zu folgen und Christus in der ganzen Bibel zu suchen, zumal auch Jesus bestätigt, dass die Schriften von ihm zeugen (Lk. 24,27;44, Joh. 5,39): Nur wenn wir ihn und seine Gnade darin erkennen wird uns sein Wort zur Kraft, die unser Leben prägt.