Ist die geheime Vorentrückung der Gläubigen eine Lehre der Bibel?

Die Frage nach der Entrückung ist ein kontroverses Thema in der Christenheit. Dabei ist nicht nur die Frage nach dem Zeitpunkt Gegenstand vieler Diskussionen, sondern auch die Art und Weise wie Jesus kommen und seine Gemeinde entrücken wird umstritten. Eine populäre Lehre heutzutage besagt, dass es einen Unterschied zwischen dem Kommen Jesu und der Erscheinung Jesu gibt, wobei er bei seinem Kommen die Gemeinde heimlich entrücken und bei seiner Erscheinung ein 1000-jähriges Reich auf Erden aufrichten wird. Demnach wird Jesu Kommen in zwei Etappen geschehen: Zuerst wird er „geheim“ kommen, um die Gemeinde plötzlich zu sich zu nehmen und anschließend wird er sichtbar kommen, um die Welt zu richten und seine Herrschaft auf Erden aufzurichten.

Woher kommt diese Lehre?

Martin Lloyd Jones führt die Entstehung dieser Lehre der geheimen Vorentrückung auf die „Powerscourt-Konferenzen zur Prophetie“ von 1830 zurück, bei denen John Nelson Darby und Edward Irving, der Gründer der apostolischen Gemeinden, zugegen waren. Dort brachte eine Anhängerin Irvings diese Lehre als eine prophetische Äußerung ein, welche jedoch von den meisten Teilnehmern abgelehnt wurde. Obwohl sich auch Darby und seine Anhänger von Irving, aufgrund seiner Ansichten zu Visionen und der Zungenrede, abgrenzten, übernahmen sie dennoch die Lehre der Vorentrückung und verbreiteten sie weiter. Als Beleg hierfür zitiert M. Lloyd Jones den Neutestamentler Samuel P. Tregelles, der ebenfalls an den Powerscourt-Konferenzen teilnahm:

Ich bin mir nicht bewusst, dass es je eine bestimmte Lehre gegeben hätte, dass es eine geheime Entrückung der Kirche bei einer geheimen Wiederkunft Christi geben sollte, bis dies als eine Äußerung in der Kirche von Herrn Irving ausgesprochen wurde.

Gott und seine Gemeinde – von Anfang bis Endzeit

Da die Bibel den Maßstab bildet, auf der jede Lehre letzendlich beurteilt werden muss, wollen wir uns hier die wichtigsten Bibelstellen zu dieser Lehre anschauen und feststellen, ob die geheime Vorentrückung im Licht der Bibel haltbar ist oder nicht.

Was sagt uns die Bibel zu dieser Lehre?

Und dann wird der Gesetzlose geoffenbart werden, den der Herr verzehren wird durch den Hauch seines Mundes, und den er durch die Erscheinung seiner Wiederkunft beseitigen wird

2. Thessalonicher 2,8

Anhand 2 Thessalonicher 2 wollen Anhänger der Vorentrückungslehre einen Unterschied zwischen Jesu „Ankunft“ und der „Erscheinung seiner Wiederkunft“ feststellen, wobei, sie meinen, dass sich seine „Ankunft“ auf die geheime Entrückung der Gläubigen und die „Erscheinung seiner Wiederkunft“ auf seine Wiederkehr zum Gericht bezieht. In 2. Thessalonicher 1 verknüpft jedoch Paulus das Gericht der Welt klar mit Jesu Ankunft:

Diese werden Strafe erleiden, ewiges Verderben, vom Angesicht des Herrn und von der Herrlichkeit seiner Kraft, an jenem Tag, wenn Er kommen wird, um verherrlicht zu werden in seinen Heiligen und bewundert in denen, die glauben – denn unser Zeugnis hat bei euch Glauben gefunden.

2. Thessalonicher 1:9-10

Dabei macht er keinen Unterschied zwischen Jesu „Ankunft“ und der „Erscheinung seiner Wiederkunft“. Stattdessen verbindet er beide Begriffe und sagt, dass die Ereignisse bei Jesu Kommen, die gleichen sein werden, wie die bei seiner Erscheinung. 


Es ist festzuhalten, dass wir in Jesu Endzeitlehre keine Hinweise auf eine Vorentrückung finden. Verfechter dieser Lehre sehen zwar in Matthäus 24,40-41 einen Beleg für die Vorentrückung der Gläubigen, allerdings handelt der Kontext dieser Stelle von der Art und Weise wie das Gericht über die Welt hineinbrechen wird und nicht von einem geheimen Kommen Christi:

Dann werden zwei auf dem Feld sein; der eine wird genommen, und der andere wird zurückgelassen. Zwei werden auf der Mühle mahlen; die eine wird genommen, und die andere wird zurückgelassen.

Matthäus 24,40-41

Jesus sagt hier voraus, dass die Menschen bei seiner Wiederkunft genauso sorglos und unvorbereitet sein werden, wie in den Zeiten Noahs vor der Sintflut (vgl. Matth. 24,37). Dann wird die Welt seine Ankunft überraschend treffen: Während die Gläubigen zu ihm hinaufgehoben werden, bleiben die Ungläubigen zurück, um das Gericht zu erfahren.  

In 1. Thessalonicher 5 fügt Paulus hinzu, dass Jesu Ankunft wie das Erscheinen eines Diebes in der Nacht sein wird.

Denn ihr wißt ja genau, daß der Tag des Herrn so kommen wird wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie nämlich sagen werden: „Friede und Sicherheit“, dann wird sie das Verderben plötzlich überfallen wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entfliehen.

1. Thessalonicher 5,2-3

Der Begriff „wie ein Dieb in der Nacht“ wird in 2. Petrus 3,10 im Zusammenhang mit dem Auflösen des alten Himmels und der alten Erde gebraucht. Da dies das Ende dieser Welt markiert, fordert uns Paulus auf, Jesu Kommen wachsam und nüchtern zu erwarten (vgl. 1. Thess. 5,6).


Auch 1. Thessalonicher 4 wird gerne zur Untermauerung der Vorentrückungslehre benutzt wird. Dort spendet Paulus den Gläubigen in Thessalonich Trost, die sich um ihre entschlafenen Brüder sorgen, indem er ihnen schreibt, dass die, im Glauben Verstorbenen bei Jesu Wiederkunft auferstehen und gemeinsam mit den lebenden Gläubigen Jesus in der Luft entgegen entrückt werden.

Denn das sagen wir euch in einem Wort des Herrn: Wir, die wir leben und bis zur Wiederkunft des Herrn übrigbleiben, werden den Entschlafenen nicht zuvorkommen; denn der Herr selbst wird, wenn der Befehl ergeht und die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallt, vom Himmel herabkommen, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen. Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zusammen mit ihnen entrückt werden in Wolken, zur Begegnung mit dem Herrn, in die Luft, und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit.

1. Thessalonicher 4,15-17

Da Jesu Ankunft hier von der „Stimme des Erzengels“ und der „Posaune Gottes“ begleitet wird, rechtfertigt diese Stelle keineswegs eine geheime Entrückung. Im Gegenteil: 1 Korinther 15,23 verknüpft die Auferstehung der Gläubigen mit Jesu Wiederkunft und dem Ende des Zeitalters.

Ein jeder aber in seiner Ordnung: Als Erstling Christus; danach die, welche Christus angehören, bei seiner Wiederkunft; danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, wenn er jede Herrschaft, Gewalt und Macht beseitigt hat.

1 Korinther 15,23-24

Ebenso finden wir die Auferstehung der Gläubigen auch etwas später in 1. Korinther 15,51-52 wieder, wo sie mit der Verwandlung der lebenden Gläubigen einhergeht. Dies wird alles, so beschreibt es Paulus, in einem Augenblick passieren:

Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune; denn die Posaune wird erschallen, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden.

1 Korinther 15,51-52

Die Frage ist hier natürlich, wann wird dieser Augenblick sein? Paulus sagt uns in Vers 52, dass das „zur Zeit der letzten Posaune“ sein wird. Das ist die gleiche Posaune, die auch in 1 Thessalonicher 4 erschallt und das Ende der Welt einläutet.

Eine Vorentrückung macht Jesu Wiederkunft berechenbar

Es muss auch berücksichtigt werden, dass bei einer „heimlichen“ Entrückung der Gläubigen vor der so genannten siebenjährigen Trübsal der Zeitpunkt der Wiederkunft Jesu einfach berechnet werden könnte (Datum der Entrückung + 7 Jahre). Das steht jedoch im klaren Widerspruch zu Jesu Worten, dass seine Jünger nicht das Recht haben den Zeitpunkt seiner Wiederkehr zu kennen:

Es ist nicht eure Sache, die Zeiten oder Zeitpunkte zu kennen, die der Vater in seiner eigenen Vollmacht festgesetzt hat

Apostelgeschichte 1,7

Jesus warnt explizit vor Verführungen betreffs seiner Wiederkunft

Wie wir gesehen haben, lehrt uns die Bibel keine Wiederkunft Jesu, die in zwei Etappen oder geheim erfolgen wird. Im Gegenteil: Jesus warnt uns davor, dass wir uns nicht im Bezug auf seine Wiederkunft verführen lassen sollen.

Wenn sie nun zu euch sagen werden: „Siehe, er ist in der Wüste!“, so geht nicht hinaus; „Siehe, er ist in den Kammern!“, so glaubt es nicht! Denn wie der Blitz vom Osten ausfährt und bis zum Westen scheint, so wird auch die Wiederkunft des Menschensohnes sein.

Matthäus 24,26-27

Jesus macht hier ganz klar, dass seine Wiederkunft nicht ein geheimes, an einen lokalen Ort begrenztes Ereignis sein wird (weder in einer Wüste, noch in einer Kammer). Stattdessen wird seine Ankunft sichtbar „wie der Blitz“ für jedermann und in Begleitung seiner unbeschreiblichen Herrlichkeit passieren. Darum lasst uns schon jetzt bewusst in dieser großartigen Hoffnung auf Jesu Kommen leben und unseren Herrn wie auch unsere Gleichgestaltung mit ihm erwarten:

Geliebte, wir sind jetzt Kinder Gottes, und noch ist nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen aber, daß wir ihm gleichgestaltet sein werden, wenn er offenbar werden wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und jeder, der diese Hoffnung auf ihn hat, reinigt sich, gleichwie auch Er rein ist.

1. Johannes 3,2-3