Die drei synoptischen Evangelien Matthäus, Markus und Lukas berichten uns von Jesu Auseinandersetzung mit den Pharisäern über die Sabbatfrage (Matthäus 12,1-8, Markus 2,23-28 & Lukas 6,1-5). Ausgangspunkt dieser Konfrontation zwischen Jesus und den Pharisäern ist das Abstreifen von Ähren der Jünger am Sabbat, was nach der Tradition der Pharisäer als Arbeit galt und demnach verboten war. Da die jüdischen Rabbiner, im Laufe der Jahrhunderte, immer mehr Gesetze und Regelungen zu dem biblischen Sabbatgebot (2. Mose 20,8-9 & 5. Mose 5,12-15) hinzugefügt hatten, kursierte bereits zur Zeit Jesu ein umfangreicher Regelkatalog unter den Pharisäern über das, was am Sabbat erlaubt und das, was ihrer Meinung nach verboten sei. So beinhaltet der Talmud, die kommentierte Auslegung der mündlichen Gesetze des Judentums, 24 Kapitel über die verschiedenen Sabbat Gebote, wobei das intensive Studium nur eines dieser Kapitel einen Rabbiner bereits über 2,5 Jahre kostete. Um einen Eindruck der Mühseligkeit dieser jüdischen Sabbatgesetze zu bekommen, sind im Folgenden 3 Beispiele aufgeführt:
- Es durfte am Sabbat nichts getragen werden, was schwerer war als eine getrocknete Feige.
- Ein Ei durfte am Sabbat nicht gekocht werden, auch wenn man es dazu nur in den heißen Sand stecken musste.
- Stühle durften nicht verschoben werden, da man versehentlich eine Furche im Boden machen konnte, was als Arbeit galt.
Die Anklage der Pharisäer
Dementsprechend galt auch das Abstreifen der Ähren bei den Pharisäern als Arbeit und war nach ihrem Verständnis eine Übertretung des Sabbats. Aus diesem Grund klagten sie auch die Jünger bei Jesus an. Wir lesen im Markusevangelium:
Und es geschah, dass er am Sabbat durch die Saaten ging; und seine Jünger fingen an, im Gehen die Ähren abzupflücken. Und die Pharisäer sagten zu ihm: Sieh, was tun sie am Sabbat, das nicht erlaubt ist?
Markus 2,23-24
Ihre Anklage beruhte allerdings allein auf ihrer eigenen Tradition und widersprach klar dem Gesetz Moses:
Wenn du in den Weinberg deines Nächsten kommst, dann magst du Trauben essen nach Herzenslust, bis du satt bist; in dein Gefäß aber darfst du nichts tun. Wenn du in das Getreidefeld deines Nächsten kommst, dann darfst du Ähren mit deiner Hand abpflücken; aber die Sichel sollst du nicht über das Getreide deines Nächsten schwingen
5. Mose 23,25-26
Auch wenn die meisten Christen heutzutage eine solch überzogene Auslegung des Sabbatgebots ablehnen, stellt sich vielen von ihnen die Frage, ob die Einhaltung dieses Gebotes immer noch für sie relevant ist. Zumal das Gebot einen enormen Stellenwert im Alten Testament einnimmt und auch in den 10 Geboten zu finden ist. Aus diesem Grund wollen wir uns im Folgenden mit Jesu Lehre über den Sabbat beschäftigen und uns bemühen die Bedeutung der Aussage, dass Jesus Herr über den Sabbat ist, zu heben.
Jesu Antwort
Um das falsche Verständnis der Pharisäer in der Sabbatfrage zu korrigieren, verweist Jesus zunächst auf David, der unter den Pharisäern als ein großer Mann Gottes galt. Er erinnert an Davids Flucht vor Saul und die Begebenheit in der Stadt Nob, bei der er den Priester der Stiftshütte aufforderte, ihm und seinen Männern die 12 Schaubrote des Heiligtums zu geben (1. Samuel 21,2-7):
Und er spricht zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er Mangel hatte und als ihn und die, die bei ihm waren, hungerte? Wie er in das Haus Gottes ging zur Zeit Abjatars, des Hohen Priesters, und die Schaubrote aß, die außer den Priestern niemand essen darf, und auch denen gab, die bei ihm waren?
Markus 2,25-26
Da diese Schaubrote die Versorgung Gottes für sein Volk symbolisierten und ihr Verzehr nur den Priestern vorbehalten war (3 Mose 24,5-9), übertrat David hier offensichtlich das Gesetz. Allerdings verurteilt ihn weder Jesus bei dieser Gelegenheit dafür, noch legt ihm die Schrift diese Tat zur Last. Stattdessen ergänzt Jesus in Matthäus 12, dem Parallelbericht zu Markus 2:
Wenn ihr aber erkannt hättet, was das heißt: »Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer«, so würdet ihr die Schuldlosen nicht verurteilt haben.
Matthäus 12,7
Wie konnte also David das Gesetz, das Gott Mose gegeben hatte, übertreten und dennoch schuldlos bleiben, während andere Gesetzesübertreter sterben mussten (z.B. 2. Samuel 6,6-7 oder 1. Samuel 28,16-19)? Die Antwort darauf liefert Davids Verständnis des Gesetzes. Die Schrift verdeutlicht, dass David das Evangelium verstand hatte und unter der Gnade Gottes stand, die er durch den Glauben empfing. Ein Beispiel für diesen Glauben finden wir in Davids bekannten Bußpsalm:
Rette mich von Blutschuld, Gott, du Gott meiner Hilfe, so wird meine Zunge deine Gerechtigkeit jubelnd preisen. Herr, tue meine Lippen auf, dass mein Mund dein Lob verkünde. Denn du hast kein Gefallen am Schlachtopfer, sonst gäbe ich es; Brandopfer gefällt dir nicht. Die Opfer Gottes sind ein zerbrochener Geist; ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.
Psalm 51,16-19
Das Gesetz Moses verlangte Tieropfer für Davids Sünden. Doch David begriff, dass das Blut von Tieren niemals seine Schuld wegnehmen konnte (Hebräer 10,4). Stattdessen wusste er, dass Gott allein Wohlgefallen an wahrhaftiger Buße und einem zerbrochenen Herzen hat, das sich im Glauben an den Messias hängt. Er ist das wahre Lamm Gottes und der versprochene Retter, der allein fähig ist, die Schuld des Menschen zu tragen. Somit wusste David auch, dass die alttestamentlichen Opfer und Gesetze nur Schatten und Bilder des Messias waren, die „bis zur Zeit einer richtigen Ordnung auferlegt sind“ (Hebräer 9,10). Folglich stand er nicht länger unter dem Gesetz Moses, das ihn verurteilte, sondern unter der Gnade, die ihn durch den Glauben freisprach. Da er also an das Evangelium von Christus glaubte und wusste, dass auch die Schaubrote letztlich nur ein Schatten auf den Messias waren, durfte er sie im Glauben essen, ohne die Konsequenzen des Gesetzes dafür fürchten zu müssen.
Diese Wahrheiten über Davids Verständnis hatten die Pharisäer völlig verkannt und sich anstelle dessen selbst zu den Herren des Sabbats gemacht, indem sie Gebote lehrten, die nicht dem Wort Gottes entsprachen. Für sie war der Sabbat ein Tag, an dem sie ihre Frömmigkeit und ihren religiösen Eifer zur Schau stellen konnten, indem sie sich viele selbst erdachte Gesetze auferlegten. Damit machten sie den Sabbat zu einer unerträglichen Last für sich und ihre Mitmenschen.
Jesus ist der Herr über den Sabbat
In seiner Antwort stellt Jesus allerdings richtig, dass der Sabbat eigentlich als Segen für den Menschen geschaffen wurde, damit er sich von seiner Arbeit ausruhen und neue Kraft in der Beziehung mit Gott finden kann.
Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.
Markus 2,27-28
Der Sabbat hatte aber nicht nur den Zweck dem Menschen eine Ruhepause zu verschaffen, sondern sollte ihm auch als Erinnerung dienen, dass Gott seinem Volk eine wahre Ruhe schaffen würde. Während nämlich die Juden unter dem Gesetz Moses permanent arbeiten mussten, um sich angenehm in Gottes Augen zu machen, dürfen die, welche auf Jesu Erlösungswerk vertrauen, von ihren eigenen Werken ablassen und in Christus zur Ruhe kommen. Sie müssen nicht länger gute Werke erbringen, um sich selbst annehmbar zu machen, sondern können darauf vertrauen, dass ihnen Jesu vollkommenes Werk am Kreuz angerechnet wird. Somit ist der Sabbattag auch ein Bild auf die wahre Sabbatruhe in Christus, die allein denen vorbehalten ist, die auf sein Werk und nicht auf ihre eigenen Werke vertrauen. Aus diesem Grund ermahnt uns auch der Hebräerbriefschreiber, unsere Herzen nicht wie die Juden im Unglauben zu verhärten, sondern im Glauben an Jesus in die wahrhaftige Sabbatruhe einzutreten.
So lasst uns nun mit Furcht darauf achten, dass keiner von euch zurückbleibe, solange die Verheißung noch besteht, dass wir in seine Ruhe eingehen. Denn es ist auch uns verkündigt wie jenen. Aber das Wort, das sie hörten, half jenen nichts, weil sie nicht im Glauben vereint waren mit denen, die es hörten. Denn wir, die wir glauben, gehen ein in die Ruhe
Hebräer 4,1-3
Da der Mensch also dieser Aufforderung nachkommen und in die wahre Ruhe Gottes eingehen soll, gab Gott ihm auch den Sabbat als vorauschattendes Bild der ewigen Ruhe in Christus. Jesu Aussage, er sei der Herr des Sabbats, unterstreicht somit seinen Anspruch Gott selbst zu sein, da nur Gott Herr und Schöpfer des Sabbats ist (1. Mose 2,2-3). Die Pharisäer verstanden sehr wohl, welchen Anspruch er damit erhob. Da sie Jesus aber gänzlich ablehnten war dies für sie pure Gotteslästerung und von da an suchten sie einen Weg, wie sie Jesus töten konnten (Markus 3,6).
Sind Gläubige verpflichtet den Sabbat zu halten?
Da der Sabbat, wie wir gesehen haben, nur ein Schatten des eigentlichen, nämlich von Christus selbst ist und mit dem Erlösungswerk Jesu erfüllt wurde, hat ihn Christus auch nach seinem Tod und seiner Auferstehung abgeschafft. Paulus drückt das wie folgt aus:
So richte euch nun niemand wegen Speise oder Trank oder betreffs eines Festes oder Neumondes oder Sabbats, die ein Schatten der künftigen Dinge sind, der Körper ⟨selbst⟩ aber ist des Christus.
Kolosser 2,16-17
Die Ruhe der Gläubigen in Christus ist also die geistliche Realität des Sabbats, weshalb das alttestamentliche Bild jetzt nicht mehr gebraucht wird. Jesus ist die Substanz und die Erfüllung dieses Bildes. Er hat die wahre Sabbatruhe gebracht und uns frei gemacht von unseren mühseligen und fruchtlosen Versuchen durch das Halten des Gesetzes gerecht zu werden. Aus diesem Grund lädt er auch jetzt alle ein, zu ihm zu kommen und bei ihm die wahre Ruhe zu finden:
Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.
Matthäus 11,28-30